Sonntag, 6. September 2009

Teil 8

Nun möchte ich mal ein ganz anderes Thema anschneiden, dass vielleicht von Interesse ist: IST JEDER SEINES GLÜCKES SCHMIED, oder stammt dieser Ausspruch nur von Menschen die Glück hatten, um mit dem Finger auf die Glücklosen zeigen und das eigene Glück als selbst erarbeiteten Erfolg darstellen zu können?

Mit Henning K. habe ich darüber schon einige interessante Diskussionen geführt, die aber nicht wirklich zu einem Konsens geführt haben. Daher möchte ich hier mal einige meiner Ge-danken dazu, auch auf die Gefahr hin, dass einige Leser ob ihres Kopfschüttelns einige Tage unter Kopfschmerzen zu leiden haben, zu Papier bringen.

Erst einmal finde ich, dass der Satz „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ schon vom Ansatz her falsch ist. Glück ist ja per Definition etwas, was man ohne ein bestimmtes Talent und ohne eigenes Handeln erreicht oder erhält, wobei das Schmieden ohne Zweifel eine aktive Tätigkeit ist, die außerdem etwas Talent erfordert.

Fangen wir bei der Betrachtung des Glücks eines Menschen doch einmal ganz von vorne an: Niemand kann sich seine Eltern aussuchen, sodass hier schon einmal ein Grundstein für das folgende Leben gelegt wird. Ein Kind von Bill Gates hat also schon mal viel bessere Voraussetzungen für ein glücklicheres Leben, als das Kind eines Tagelöhners oder Ziegenhirten in Kamerun oder in Äthiopien – sogar unabhängig vom IQ und sonstigen genetischen Anlagen.

Wenn wir einmal davon ausgehen, dass beide Kinder die gleiche elterliche Liebe und Fürsorge genossen haben, so stehen die Chancen für das Gates-Kind, ein Alter für ein eigen-verantwortliches Leben zu erreichen, um ein vielfaches höher, als für das Kind in Afrika.

Eine genetische Veranlagung für eine schwere Erkrankung könnte das natürlich ändern, aber läge eben nicht im Einflussbereich des Betreffenden. Dabei wären die Chancen für das Kind reicher Eltern in einem Land mit hervorragender medizinischer Infrastruktur trotzdem höher.

Nun kommt die Ausbildung, die ja für das Erreichen der eigenen Ziele und somit für das persönliche Glück nicht unerheblich ist. Wo liegen da wohl die besseren Chancen? Selbst mit einem überragenden IQ käme das Kind in Afrika kaum in den Genuss einer guten schulischen Ausbildung, während das Gates-Kind dank Top-Förderung selbst bei unterdurchschnittlichem IQ sicher ein Studium abschließen würde.
Diese Liste der Rahmenbedingungen ließe sich beliebig fortsetzen, aber dazu komme ich später noch einmal.

Natürlich wird die Mehrzahl der Menschen entgegnen, dass materielle Dinge nicht unbedingt entscheidend dafür sind, ob jemand ein glückliches Leben führt, oder nicht. Sicher gibt es Menschen, die trotz Armut glücklich sind, ebenso wie es Leute gibt, die trotz ihres materiellen Reichtums unglücklich sind. Dabei ist aber der Arme fast nie glücklich, weil er arm ist – und der Reiche ist eben auch nicht wegen seines Reichtums unglücklich.

Wenden wir uns einem weiteren Punkt zu, der sehr viel mit dem persönliche Glück zu tun hat, aber kaum etwas mit rationalen und nur im eigenen Willen begründeten Entscheidungen: der Partnerwahl.
Kaum jemand wird bestreiten wollen, dass dies ein ganz wesentlicher Punkt für das per-sönliche Glück unseres Lebens ist – doch wie finden sich die „richtigen“ Partner?
Über dieses Thema haben sich schon unzählige Wissenschaftler so ihre Gedanken gemacht und zu erforschen versucht, wo der Schlüssel dafür liegt.
80 Prozent wählen nach einem Idealbild aus, dass sie von ihrem gegengeschlechtlichen Elternteil ableiten. Ein Mann wählt demnach eine Frau, die seiner Mutter ähnelt. Eine Frau fühlt sich zu Männern hingezogen, die ihrem Vater ähneln. Dieses Idealbild gehört also zu den Rahmenbedingungen, die wir uns nicht selbst aussuchen können.
Dann kommt noch ein weiterer wichtiger Punkt: Aus welchem Pool suchen wir unseren Partner aus? Wir können ja schlecht durch die ganze Welt reisen und nach dem idealen Menschen suchen, der uns dann auch noch als den Traumpartner sehen und auch noch frei sein müsste. Generell suchen wir also in einem relativ kleinen Umkreis. Dabei haben also Menschen in einer Großstadt deutlich höhere Chancen, den Traumpartner zu finden, als Menschen, die in relativ abgeschiedenen Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte wohnen. Dies gilt natürlich auch nur in Kulturkreisen, in denen die Menschen überhaupt eine freie Partnerwahl haben.

Auf jeden Fall spielt der Faktor Glück oder Zufall in diesem Bereich eine nicht zu unter-schätzende Rolle. Wie soll man z.B. sein Eheglück schmieden, wenn der Mensch, an den man sein Herz verloren hat, bereits gebunden ist oder einfach kein Interesse an einem hat?

Der nächste Punkt wäre die Berufswahl, da es sicher auch unstrittig ist, dass hiermit zu einem relativ frühen Zeitpunkt im Leben die Weichen gestellt werden müssen und eben auch dabei nicht jeder für sich frei entscheiden kann. In Zeiten des Lehrstellenmangels müssen viele Jugendliche einfach die Ausbildungsstelle nehmen, die ihnen angeboten wird. Da wird leider viel zu oft nicht der Traumberuf erlernt – nur weil es dafür eben keine Gelegenheit gab.

Wenn man dann noch das große Glück hat, in dem Beruf eine Arbeitsstelle zu finden, die einem den Lebensunterhalt sichert, so quält man sich voraussichtlich die nächsten 40-50 Jahre mit einer ungeliebten Arbeit herum. Man kann sich damit abfinden, aber eben nicht glücklich sein. Wer seinen Traumberuf erlernt und dabei sogar noch auf die späteren Berufschancen achtet, der ist noch immer nicht auf der sicheren Seite – wie z.B. bei Lehrern:

„Laut einer aktuellen Studie wurden in den vergangenen fünf Jahren 17.400 Lehrern weniger eingestellt als die Kultusministerkonferenz vorhergesagt hatte. Trotz des angeblichen Lehrermangels fanden 2007 rund 30.000 Pädagogen keine Arbeit.“

Da haben wohl eine beträchtliche Anzahl gut ausgebildeter Leute richtig Pech gehabt, oder? Wer dann statt Kinder zu unterrichten als Taxifahrer jobbt, wird wohl eher vergeblich nach seinem Glück im Berufsleben suchen. Noch härter wird es auch für Leute, die lange Zeit in ihrem Traumberuf gearbeitet haben und dann plötzlich wegen Insolvenz ihres Arbeitgebers mit Ende 50 auf der Straße sitzen. Da freut man sich dann auf Hartz IV bis zur Rente, da man in dem Alter praktisch schon von der Gesellschaft ausgemustert wurde.

Alles im Leben ist abhängig von Rahmenbedingungen, die wir uns nicht selbst schaffen und die wir zu einem großen Teil auch nicht beeinflussen können oder nicht einmal kennen – wie z.B. unsere Gene.

Heute ist mir z.B. eine Bemerkung der Republikanerin Sarah Palin ins Auge gesprungen, die die Meinung vertritt, dass Homosexuelle sich frei für diese sexuelle Ausrichtung entschieden haben. Im Umkehrschluss würde dies ja bedeuten, dass jeder Homosexuelle auch immer die Möglichkeit hätte, sich wieder umzuorientieren. Das sehen ich und viele Fachleute allerdings ganz anders. Hier hat der Mensch eben keine freie Entscheidungsmöglichkeit.

Welche Chance haben homosexuell veranlagte Menschen in Ländern, in denen ein Ausleben ihrer Veranlagung unter Strafe gestellt ist und die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, um in ein anderes Land auszuwandern? Wie soll man da sein Glück selber schmieden?

Oder liest man mal wieder voller Abscheu und mit dem aufkeimenden Wunsch nach Lynch-justiz von Pädophilen (und leider hat man den Eindruck, dass davon täglich mehr auf unserer Erde rumlaufen), so sollte man sich dennoch vor Augen halten, dass sich keiner davon diese Neigung freiwillig ausgesucht hat und ein so veranlagter Mensch nie glücklich werden kann. Entweder lebt er sein Verlangen aus, wobei ihm durchaus klar ist, dass er schreckliches Unrecht begeht und er sich fast überall auf der Welt strafbar macht, oder er muss sein Leben lang seine Triebe unterdrücken und auf sexuelle Befriedigung verzichten. Wo ist sein Glück?

Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass niemand auf der Welt die Auswirkungen seiner Gene und seiner frühkindlichen Erziehung auf seine Persönlichkeit und sein Wesen kennen und verstehen kann. Da hierdurch aber in gewissem Rahmen festgelegt wird, was uns glücklich machen würde, können wir ja nicht einmal bewusst darauf hinarbeiten.
Ich kann ja erst dann sehen, ob es mich glücklich macht, wenn ich das Ziel erreicht habe. Was ist aber, wenn ich dann noch immer nicht glücklich bin?

Rahmenbedingungen sind der wahre Stoff, der über die meisten Entwicklungen im Leben entscheidet, wobei auch diese Entwicklungen wieder neue Rahmenbedingungen im positiven wie im negativen Sinn schaffen.
Das Leben ist weder vorhersehbar noch mit allen Konsequenzen planbar. Was heute richtig sein mag, kann sich morgen als völlig falsch erweisen und umgekehrt. Wir müssen ständig Entscheidungen treffen, über deren Tragweite sich niemand völlig klar sein kann – und dann sehen, was passiert.

Wie wäre das Leben eines Boris Becker verlaufen, wenn seine Eltern nicht zufällig in der Nähe eines Tennis-Leistungszentrums ihr Haus gehabt und seine Eltern vielleicht nicht zu den Kreisen gezählt hätten, in deren Kinder mit 3 Jahren in den Tennisclub gehen?

Was wäre aus Schumi geworden, wenn er nicht neben einer Kartbahn in Kerpen, sondern als Sohn eines Bäckers in Bad Harzburg aufgewachsen wäre?
Vielleicht wären sie beide dank ihrer Gene trotzdem erfolgreich geworden, aber das kann eben niemand heute sagen.

Vielleicht kann nur der wirklich glücklich werden, der keine Ansprüche an das Leben hat und mit der Gabe gesegnet ist, alles was kommt einfach als von Gott gegeben hinzunehmen?
Nicht wir schmieden unser Leben, sondern der Zufall formt uns teilweise mit brutaler Gewalt zu dem, was wir rückblickend geworden sind. Manchmal schaffen wir es vielleicht mit etwas Glück und durch eine im Augeblick richtig erscheinende Entscheidung, einem besonders harten Schlag des Schicksals auszuweichen, wobei wir nicht vorhersagen können, ob wir nicht genau dadurch unter einen noch größeren Hammer kommen.

Macht aber nicht vielleicht genau diese Unberechenbarkeit die Faszination unseres einzig-artigen Lebens aus? Wie langweilig wäre es doch, wenn wir alles im Leben nach festen Regeln mit mathematischer Präzision machen würden, ohne Risiken einzugehen und uns auch Fehler zuzugestehen. Dabei mache ich keinen Hehl daraus, dass ich mir wünschen würde, ein paar andere Rahmenbedingungen mit auf den Lebensweg bekommen und einige Entscheidungen anders getroffen zu haben.

Trotzdem gab es in meinem bisherigen Leben neben vielen Tiefen auch eine Menge glücklicher Momente – und ich hoffe, dass es noch einige mehr werden. Zu meinem großen Glück darf ich auch in einem Land leben, in dem ich als genetisch belastete und psychisch verkorkste Dumpfbacke trotzdem ein relativ gutes Leben führen kann.